Nach einer Beschwerde von noyb erklärte die Hamburger Datenschutzbehörde den Einsatz umstrittener „Pay or OK“-Systeme für zulässig. Das Verfahren wirft jedoch erhebliche Fragen auf: Die Behörde stand zwar im regen Austausch mit dem SPIEGEL, hörte die betroffene Person während des Verfahren aber kein einziges Mal an. Viele relevante Tatsachen wurden nie untersucht. In einem parallelen Fall soll die Behörde ein Unternehmen sogar aktiv dazu motiviert haben, für das “Nein” beim Cookie-Banner Geld zu verlangen. Der Betroffene hat deshalb eine Klage gegen die Datenschutzbehörde beim Verwaltungsgericht Hamburg eingereicht.
Hintergrund zu “Pay or OK”. Der Beschwerdeführer hatte im Sommer 2021 eine DSGVO-Beschwerde gegen den “Pay or OK”-Banner auf der Website des SPIEGEL eingereicht. Er (und alle anderen Nutzer:innen) musste sich damals entscheiden, dem Nachrichtenmagazin entweder die Nutzung von persönlichen Daten zu erlauben oder ein Bezahlabo abzuschließen. Die Behörde brauchte daraufhin fast drei Jahre, um festzustellen, dass sie “Pay or OK” für grundsätzlich zulässig hält. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Fakten sucht man in der Entscheidung allerdings vergeblich. Es findet sich keine Begründung dafür, warum es eine freiwillige Einwilligung und echte Wahlfreiheit darstellen soll, wenn Nutzer:innen für ihre Grundrechte zahlen müssen. Es ist bekannt, dass mehr als 99.9% dem Tracking zustimmen, wenn sie mit “Pay or Okay” konfrontiert werden. Dabei wollen eigentlich nur 3-10% personalisierte Werbung. In der Zwischenzeit hat sogar die EU-Kommission erhebliche Zweifel an der Legalität des Modells geäußert.
Max Schrems, Vorstandsvorsitzender von noyb: “Der Einsatz von ’‘Pay or OK’ zieht eine Einwilligungsrate von 99.9% nach sich. Eine so hohe Fake-Zustimmung hat nicht mal die DDR zusammengebracht. Von einer freiwilligen Einwilligung kann hier keine Rede sein. Es scheint nur, als wolle die Hamburger Behörde von solchen Zahlen nichts wissen.”
Günstige Rechtsberatung für den SPIEGEL. Die Hamburger Behörde stand während des Verfahrens in engem Kontakt mit dem SPIEGEL. Anstatt unvoreingenommen zu ermitteln und zu entscheiden, traf sie sich außerdem mehrmals mit Vertretern des Unternehmens, lud sie zu sich ein und gab Rückmeldungen zu den vorgeschlagenen Änderungsplänen. Für den Verwaltungsaufwand des Verfahrens stellte die Hamburger Behörde dem SPIEGEL € 6.140 in Rechnung. Ein anderes Medienunternehmen wurde von der Hamburger Behörde zuvor sogar proaktiv ermutigt, auf “Pay or OK” umzustellen. Es ist davon auszugehen, dass die Behörde Unternehmen aktiv zu problematischen Handlungen aufruft. Der Beschwerdeführer wurde über all dies übrigens erst nach der Entscheidung informiert. Angehört wurde er von der Behörde nicht. Der Großteil seiner Nachrichten an die Behörde wurde nicht einmal beantwortet.
Dr. Raphael Rohrmoser, Anwalt des Beschwerdeführers: „Die Hamburger Datenschutzbehörde hat den SPIEGEL offensichtlich rechtlich beraten. Die berechnete Verwaltungsgebühr der Datenschutzbehörde dürfte deutlich unter den Gebühren von beratenden Kanzleien liegen. Für den SPIEGEL stellt dieses Vorgehen der Behörde eine Win-Win-Situation dar.“
Anwalt und Richter zugleich. Bedenkt man, dass die Hamburger Behörde den SPIEGEL im Verfahren rechtlich beraten hat, wird sie in Zukunft kaum eine Entscheidung treffen, mit der sie sich selbst widerspricht. Laut DSGVO sollen Datenschutzbehörden Unternehmen zwar “sensibilisieren”, aber keinesfalls beraten. Ihre Aufgabe ist es, Beschwerden zu untersuchen und auf Grundlage ihrer Ermittlungen eine unparteiische Entscheidung zu treffen.
Max Schrems, Vorstandsvorsitzender von noyb: „Niemand sollte Anwalt und Richter zugleich sein. Die Hamburger Datenschutzbehörde scheint allerdings kein Problem darin zu erkennen, Unternehmen zu beraten oder sogar aktiv zur Einführung von ‘Pay or OK’ aufzurufen, statt den Sachverhalt objektiv zu ermitteln. Es ist offensichtlich, dass die Behörde die von ihr selbst veranlassten Änderungen nicht als illegal einstufen wird.“
Klage gegen die Behörde. Der Beschwerdeführer hat nun beim Verwaltungsgericht Hamburg beantragt, die Entscheidung der Datenschutzbehörde aufzuheben. Sollte diese Klage erfolgreich sein, müsste die Behörde erneut über die Beschwerde aus dem Jahr 2021 entscheiden.
Der Beschwerdeführer wird durch Dr. Raphael Rohrmoser von AdvoAdvice vertreten.