Gastkommentar von Max Schrems in 'Der Standard' (eine österreichische Zeitung) zum Abonnementtyp 'PUR-Abo' von DerStandard.at
Hätten Sie gerne ein bisschen mehr Privatsphäre? - Dann müssen Sie 6 € pro Monat bezahlen
Von Wien über Berlin bis Brüssel reagierten viele Experten und Juristen mit Unglauben auf eine Entscheidung der Datenschutzbehörde (DSB) in dieser Woche. ",Bezahlen oder Grundrechte aufgeben' ist nicht genau das, was das neue GDPR mit 'freiwilliger' Zustimmung meinte. Da es "Der Standard" ist, der sich so verhält, tut mir das besonders weh
Freiwillige Zustimmung?
Was ist passiert? Mit der Einführung des GDPR sollten die Benutzer eine freiwillige Wahl von "Ja oder Nein" für die Datenverarbeitung erhalten. Denn die Einwilligung ist nichts anderes als der freiwillige Verzicht auf das Grundrecht auf Privatsphäre.
Es ist schwierig für die Branche, da täglich auf Hunderten von Websites Cookie-Banner gezeigt werden. Dort hat man oft nur die Möglichkeit, auf 'Ja' zu klicken. Statt 'ja oder nein' bietet 'Der Standard' eine (recht kreative) 'ja oder € 6'-Option. Ein Nutzer hat eine Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde ('DSB') eingereicht.
Werbung ≠ Targeting ≠ Datenaustausch
Auf der Website von 'Der Standard' erhalten Sie nur Privatsphäre 'im Paket' mit Werbefreiheit. Dies ist weder technisch noch wirtschaftlich notwendig: Werbung, Targeting und Personalisierung sind verschiedene Dinge - auch wenn die Lobby sie gerne als Paket verkauft.
Die Werbung ist für alle gleich (z.B. im Printbereich). Wäre die Personalisierung unbedingt notwendig, wäre das werbeunterstützte Fernsehen schon weg. Auch 'Der Standard' bietet Unternehmen an, ungezielt online zu werben.
Selbst das Targeting hat viele datenschutzfreundliche Varianten - wie Geographie, Zeit oder Kontext (Autowerbung auf der Auto-Seite).
Personalisierte Werbung (oft durch den Austausch von Daten mit Hunderten von externen Targeting-Firmen) ist nur eine Unterkategorie des Targeting, was die Streuverluste weiter verringert und die Gewinne erhöht. Angesichts der extremen Inflation der Werbepreise ist selbst das fragwürdig ("Race to the Bottom").
Genau diese Trennung hat das DSB mit seiner Entscheidung versäumt - es setzt Werbung und Datentransfer gleich und kommt zu dem Schluss, dass werbefinanzierte Modelle immer irgendeine Art von Datentransfer erfordern.
Wirtschaftliche Seite
Bei einer naiven Einschätzung der Situation muss 'Der Standard' etwa 30 bis 90 Cent pro Online-Nutzer und Monat einnehmen. Damit verlangt die Zeitung für die werbefreie Version das 6- bis 20-fache an Geld. Folglich ist die Verweigerung der Einwilligung extrem teuer und sogar zivilrechtlich anfechtbar (laesio enormis). Die Summe ist noch geringer, wenn man nicht die gesamte Werbung berechnet, sondern nur die Umsatzsteigerung durch die Personalisierung der Werbung.
Das DSB vergleicht jedoch diese Art des Online-Abonnements mit dem Print-Abonnement für 47 € - und kommt daher zu dem (absurden) Schluss, dass der Nutzer von einer Einwilligung wirtschaftlich profitieren würde.
Alternativen?
Die DSB spricht weiter von der "Freiwilligkeit", da die Menschen andere Medien nutzen könnten ("take it or leave it"). In der Praxis ist dies illusorisch, da fast alle Online-Medienplattformen Daten an genau die gleichen Unternehmen (z.B. Google) weitergeben, Menschen exklusive Geschichten lesen wollen und in Zeiten von Twitter und Facebook den Medienanbieter wechseln.
Medien treten für 'Pay or Okay' in die Bresche?
Politiker, Behörden und Verbraucherschützer zögern, sich in den Medien zu engagieren. Es besteht auch Einigkeit darüber, dass qualitative Medien besser finanziert werden müssen. Allerdings könnten die Medien für viele fragwürdige Unternehmen in die Bresche springen. Wenn "zahlen oder ok" vorherrscht, gilt dies für alle.
Jedes Unternehmen könnte 'Datentransfer oder Bezahlung' einführen. Dieses 'Hätten Sie gerne etwas mehr Privatsphäre? - Dann werden es 6 Euro pro Monat sein" könnte vom Mobilfunkvertrag bis zur Zugfahrkarte möglich sein. Folglich werden Menschen, die gerade nicht im Lotto gewonnen haben, wahrscheinlich ständig "freiwillig" ihre Grundrechte weggeben.
Die Ebene der Rechtsprechung wird zu entscheiden haben
Da es sich hierbei um eine grundlegende Frage des Datenschutzes handelt, plant unser Verband (noyb.eu) daher, diese Frage erneut mit dem gesamten Sachverhalt des DSB klären zu lassen. Denn mit allem Verständnis für die Finanzierung qualitativer Medien und meiner Loyalität zu 'Der Standard': Man sollte die wirtschaftliche Situation nicht durch erzwungenen Datentransfer ankurbeln.
Link zum Kommentar auf derStandard.at (aus Platzgründen leicht gekürzt und nur in Deutsch)