noyb-Sieg gegen die EU-Kommission: Der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) hat in einer neuen Entscheidung festgestellt, dass die EU-Kommission rechtswidrig die politischen Ansichten von Bürger:innen verwendet hat, um gezielte Werbung auf Twitter/X zu schalten.
- Entscheidung des EDSB
- Beschwerde beim EDSB eingereicht im Jahr 2023
- Ähnliche noyb-Beschwerden in Deutschland ("Target Leaks")
Versuchte Beeinflussung der politischen Ansichten in den Niederlanden. Die heftig kritisierte Chatkontrolle-Verordnung könnte die gesamte verschlüsselte Online-Kommunikation untergraben und Behörden das Mitlesen von Online-Chats zu ermöglichen. Der Gesetzesentwurf stoßt jedoch weiterhin auf Gegenwehr. Im Rahmen ihrer Lobbyarbeit für den Gesetzesentwurf hatte die EU-Kommission offensichtlich die Niederlande als Mitgliedstaat identifiziert, den sie politisch beeinflussen wollte. Auf X/Twitter veröffentlichte die EU-Kommission deshalb Beiträge, die indirekt für die Verordnung warben.
Politisches Targeting auf X/Twitter. Die Europäische Kommission hat jedoch nicht bloß politische Botschaften gepostet, sondern eine zielgerichtete Werbekampange gestartet. Konkret wurden Werbeanzeigen der Kommission nur Personen angezeigt, die nicht an Stichworten wie #Qatargate, Brexit, Marine Le Pen, Alternative für Deutschland, Vox, Christian, Christenphobie oder Giorgia Meloni interessiert waren. Die Absicht war, nur politisch liberale oder linke Nutzer:innen anzusprechen, aber keine konservativen oder rechten Personen. Werbetreibende verwenden häufig so genannte "Proxy-Daten" (also Daten, die eng mit politischem Denken verbunden sind), um politische Ansichten gezielt anzusprechen. Damit hat die Europäische Kommission eindeutig die Verarbeitung persönlicher Daten von EU-Bürger:innen ausgelöst, um sie mit Werbung anzusprechen.
Felix Mikolasch, Datenschutzjurist bei noyb: "Seit Cambridge Analytica ist klar, dass gezielte Werbung die Demokratie beeinflussen kann. Die Nutzung politischer Präferenzen für Werbung ist eindeutig illegal. Dennoch setzen viele politische Akteure darauf und Online-Plattformen unternehmen kaum etwas dagegen. Daher begrüßen wir die Entscheidung des EDSB."
Keine Rechtsgrundlage. Abgesehen von "normalen" persönlichen Daten sieht das EU-Recht einen besonderen Schutz für so genannte sensible Daten vor. Zu diesen gehören auch politische Meinungen. Die EU-Kommission hat zwar nicht direkt auf Kategorien wie "konservativ" oder "rechts" abgezielt, die Werbekampagne war aber dennoch eindeutig auf die politischen Ansichten der Bürger:innen ausgerichtet. Wenn man in einem solchen Kontext "Brexit" ausschließt, will man Personen ausschließen, die mit dem Brexit sympathisieren. Eine solche Verarbeitung ist nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig - etwa bei ausdrücklicher Einwilligung. Eine solche Einwilligung lag nicht vor. Auch eine andere Rechtsgrundlage hatte die EU-Kommission nicht.
EU-Kommission hat die Kontrolle. Der EDSB stellte klar, dass die EU-Kommission für die Datenverarbeitung verantwortlich ist und in vollem Umfang für rechtswidrige Zielgruppenwerbung auf der Plattform haftet. Allerdings kann die Online-Plattform für denselben Fall verantwortlich gemacht werden. noyb hat 2023 auch eine Beschwerde gegen X/Twitter bei der niederländischen Datenschutzbehörde eingereicht.
Felix Mikolasch, Datenschutzjurist bei noyb: "Wir haben noch viele weitere Fälle von politischem Microtargeting in den Mitgliedsstaaten. Viele politische Parteien wenden dieselbe illegale Praxis an. Wir hoffen, dass die Entscheidung des EDSB eine Richtschnur für nationale Behörden sein wird, die derzeit solche Praktiken untersuchen."
Verweis. Der EDSB hat nur eine Verwarnung ausgesprochen - also eine formelle Feststellung, dass die Verarbeitung rechtswidrig war. Der EDSB vertritt die Ansicht, dass andere Maßnahmen, wie z. B. eine Geldstrafe, nicht notwendig waren, da die Kommission die Praxis bereits eingestellt hat. Die Entscheidung wurde gemäß der Verordnung (EU) 2018/1725 erlassen. Diese wird oft als "EU-DSGVO" bezeichnet und gilt nur für die EU-Institutionen, aber ist der "normalen" DSGVO sehr ähnlich.