noyb ist ab sofort zur Erhebung von Verbandsklagen in der EU zugelassen

Data Subject Rights
 /  Mon, 02.12.2024 - 13:11

noyb wurde als „Qualifizierte Einrichtung" zur Erhebung von Verbandsklagen in der gesamten Europäischen Union zugelassen. noyb kann damit nach der "Verbandsklagen-Richtlinie" (EU) 2020/1828 Unterlassungsklagen und auch Abhilfeklage einbringen. „Unterlassungsklagen“ erlauben dabei, rechtswidrige Praktiken von Unternehmen generell für alle Nutzer:innen zu verbieten - das betrifft auch Verstöße gegen die DSGVO. "Abhilfeklagen" ermöglichen eine europäische Version von „Sammelklagen“, bei denen Tausende oder Millionen von Nutzer:innen von noyb vertreten werden. So kann etwa Schadenersatz gefordert werden, wenn personenbezogene Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden. Im Gegensatz zu den US-Sammelklagen schreibt das EU-Recht vor, dass Verbandsklagen nur streng gemeinnützig und nur von Vereinen erhoben werden dürfen.

A large group of people in different shades of magenta form the shape of an arrow pointing to the right.

Genehmigung in Österreich und Irland – Gültigkeit in der gesamten EU. Das EU-System für kollektiven Rechtsschutz erlaubt nur gemeinnützigen Organisationen aktiv zu werden. Diese müssen zuerst als „qualifizierte Einrichtungen“ (QE) anerkannt werden. Im Gegensatz zum „Wildwest“-Ansatz nach US-Recht, bei dem jede Anwaltskanzlei sogenannte „Sammelklagen“ (oft auch zu ihrem eigenen Vorteil) einreichen kann, soll das EU-System finanzielle Anreize für Kläger:innen beseitigen, indem es auf gemeinnützige Kläger:innen setzt. Obwohl die Richtlinie bis zum 25. Juni 2023 vollständig umgesetzt hätte sein sollen, haben viele EU-Mitgliedstaaten die Umsetzung nicht fristgerecht geschafft oder die Genehmigungsverfahren waren erst deutlich später möglich. noyb hat nun in zwei Mitgliedstaaten eine Genehmigung als qualifizierte Einrichtung beantragt: in Irland und in Österreich. Österreich ist der Hauptsitz von noyb und Irland ist das Land mit den meisten Hauptsitzen internationaler Technologieunternehmen. Beide Genehmigungen wurden nun erteilt und gelten innerhalb diesen beiden Mitgliedstaaten, aber auch grenzüberschreitend in der gesamten EU. Qualifizierte Einrichtungen in einem Mitgliedstaat können in jedem EU-Mitgliedstaat Klagen erheben.

Max Schrems, Vorstand von noyb: „noyb hat sich in den letzten Jahren auf diesen Schritt vorbereitet und eine detailierte Prüfung durchlaufen. Es wurde die Unabhängigkeit, aber auch die organisatorische Stabilität der Organisation überprüft. Die Anerkennung erlaubt uns nun, Unterlassungsklagen gegen jedes Unternehmen zu erheben, das in der EU gegen die DSGVO verstößt. Darüber hinaus können wir auch EU-Sammelklagen einreichen, bei denen Tausende oder Millionen von Nutzer:innen Schadenersatz verlangen können, wenn ihre personenbezogenen Daten missbraucht wurden. Wir planen, die ersten Klagen im Jahr 2025 einzureichen. Bislang ist der kollektive Rechtsschutz für viele noch kein Thema – aber er hat enormes Potenzial, die bisher mangelhafte Durchsetzung der DSGVO zu lösen.

Die Anerkennung durch den österreichischen Bundeskartellanwalt wurde am 2. Dezember 2024 erteilt, die Anerkennung durch das irische Justizministerium am 10. Oktober 2024.

Unterlassungsklagen. Unterlassungsklagen nach Artikel 8 der EU-Richtlinie ermöglichen es einer qualifizierten Einrichtung, ein Unternehmen aufzufordern, eine bestimmte Praxis einzustellen. Im Fall von noyb könnte dies z.B. das illegale Tracking von Nutzer:innen ohne gültige Einwilligung, die Verwendung von „Dark Patterns“, der unrechtmäßige Verkauf personenbezogener Daten, absurde Formulierungen in Datenschutzrichtlinien oder die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittstaaten sein die keinen angemessenen Schutz bieten. Generell könnten viele andere Arten des Gesetzesbruchs (wie die strukturell unvollständige oder verspätete Antworten auf Auskunfts- oder Löschungsersuchen gemäß der DSGVO) durch kollektiven Rechtsschutz durchgesetzt werden.

Ursula Pachl, Direktorin für kollektiven Rechtsschutz bei noyb: „Unterlassungsklagen werden von Verbraucherorganisationen seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt, etwa wenn es um illegale AGB geht. Das neue EU-Recht erlaubt es noyb nun, solche Unterlassungsklagen auch bei Verstößen gegen die DSGVO einzusetzen – und wir alle wissen, dass es davon mehr als genug gibt.“

Normalerweise wendet sich eine gemeinnützige Organisation zunächst direkt an ein Unternehmen und fordert es förmlich auf, die rechtswidrige Tätigkeit einzustellen und eine sogenannte „Unterlassungserklärung“ zu unterzeichnen. Weigert sich das Unternehmen, eine solche Vereinbarung zur Einstellung des Verstoßes zu unterzeichnen, kann die gemeinnützige Organisation in jedem EU-Mitgliedstaat, in dem das Unternehmen tätig ist, oder an seinem Hauptsitz eine Klage erheben.

Abhilfeklagen. Das neue Gesetz ermöglicht auch „Abhilfe“-Verfahren bei vergangenen und andauernden Verstößen - wie etwa bei jeder rechtswidrigen Datenverarbeitung durch Big Tech. In der Regel umfassen solche Fälle immateriellen Schadenersatz oder auch die Rückgabe des Gewinns der durch die illegale Datennutzung erzielt wurde. Während immaterielle Schäden eher gering sein können und sich oft nur auf 100 bis 1.000 Euro pro Nutzer:in belaufen, kann sich dies schnell summieren, wenn ein Unternehmen die Rechte von Millionen von Nutzer:innen verletzt hat. In den meisten EU-Mitgliedstaaten müssen Nutzer:innen eine gemeinnützige Organisation mit der Vertretung beauftragen („Opt-in“-System), in einigen Mitgliedsstaaten (etwa in den Niederlanden oder Portugal) kann jedoch eine qualifizierte Einrichtung alle Nutzer:innen vertreten, es sei denn diese haben einen Einspruch erhoben („Opt-out“-System).

Ursula Pachl: „In der Regel lohnt es sich nicht, eine Klage über 200 Euro gegen ein Big-Tech-Unternehmen anzustrengen. Wenn sich jedoch Millionen betroffener Nutzer:innen zusammenschließen, ändert sich die Dynamik schnell und die Kosten und Risiken für jeden einzelnen werden sehr klein. Genau darin liegt die Stärke des ‚kollektiven Rechtsschutzes‘.

Nächste Schritte. noyb hat in den letzten Jahren die organisatorischen und technischen Mittel für die Durchführung von Sammelklagen vorbereitet und plant die ersten Fälle im Jahr 2025 einzureichen. Während Unterlassungsklagen schnell umgesetzt werden können und es im Rahmen der "Klausel-Richtlinie" 93/13/EWR (die seit 1993 illegale Bestimmungen in AGB regelt) viel Erfahrung gibt, erfordern Abhilfeklagen eine längere Vorbereitung und es gibt oft weniger Erfahrung. Bisher waren Sammelklagen auf bestimmte Mitgliedstaaten wie Portugal, die Niederlande, Deutschland oder Österreich beschränkt - oft mit völlig anderen Regeln als in der neuen EU-Richtlinie.

Hinweis: Gleichzeitig mit noyb wurde auch der Verbraucherschutzverein (VSV) vom Bundeskartellanwalt als Qualifizierte Einrichtung zugelassen.